Gerne habe ich die Gelegenheit genutzt, auf der wunderbaren Online-Plattform EDITION F das Problem unserer Steuersystems aus feministischer Sicht zu erläutern. Der Kern ist: Unser Steuersystem benachteiligt Lebensrealitäten, in denen sich vor allem Frauen befinden. Und bevorteilt Lebensumstände, die vor allem für Männer gelten. Das Ergebnis ist: Unser Steuersystem wirkt sexistisch. Es verstärkt die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern, statt sie abzubauen.

Die Corona-Krise hat ein Schlaglicht auf die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern geworfen: Homeschooling und Hausarbeit bleiben überwiegend an den Frauen hängen, Frauen arbeiten in systemrelevanten und trotzdem schlechter bezahlten Berufen. So weit, so ungerecht, so bekannt. Aber warum bekommen Frauen jetzt auch noch weniger Kurzarbeiter*innengeld? Warum bekommt Elif, Logistikerin, 2000 Euro brutto, 289 Euro weniger als ihr Arbeitskollege Florian mit ebenfalls 2000 Euro brutto? Schließlich sind doch beide verheiratet mit einem Kind und zahlen die gleichen Beiträge in die Sozialversicherung ein. Kann es sein, dass unser Steuersystem Frauen vorsätzlich benachteiligt?

Des Rätsels Lösung: Elif hat die Steuerklasse V und Florian die Steuerklasse III. Das wird im Rahmen des Ehegattensplittings gerne von Steuerberater*innen empfohlen: als „Sparmodell für die Ehe“. Was für das Paar vorteilhaft scheint, ist für die Frau als Individuum ein Nachteil: Die Steuerklasse V beschert ihr nicht nur höhere Steuerabzüge, sondern wesentlich geringere Lohnersatzleistungen: also weniger Arbeitslosengeld, weniger Kurzarbeiter*innengeld, weniger Elterngeld. Denn diese Lohnersatzleistungen werden nach dem monatlichen Nettolohn, nach dem sofortigen Abzug der Steuern, berechnet. Das „Ehesparmodell“ geht in rund 90 Prozent der Fälle zu Lasten der Frauen.

Mehre Hundert Euro pro Monat weniger

Besonders ungerecht ist das im Hinblick auf die Sozialversicherungsbeiträge: Die Klasse-V-Steuerzahlerin zahlt nicht nur genauso viel ein wie der Klasse-III-Steuerzahler – was prozentual wegen der höheren Steuerabzüge bei ihr für eine viel höhere finanzielle Belastung sorgt. Sie bekommt dafür auch noch eine deutlich geringere Leistung, weil sie wegen der Klasse V einen geringeren Nettolohn hat, die Sozialversicherungsbeiträge aber anhand des Bruttolohns berechnet werden. Das kann mehrere Hundert Euro im Monat ausmachen und widerspricht fundamental dem Äquivalenzprinzip.

In Krisenzeiten, in denen viele Menschen ihre Jobs verlieren, zeigt sich: Dieses angebliche Ehesparmodell mit Steuerklasse V kann auch schlecht für das gesamte Familienbudget sein. Denn einen Ausgleich am Jahresende, anders als bei der Steuer, gibt es bei Lohnersatzleistungen nicht.  Bei der Steuer wird am Ende des Jahres bei Ehepaaren geschaut, ob sie entsprechend dem ihnen zustehenden Splittingvorteil zu viel oder zu wenig Steuer gezahlt haben – und entsprechend nach- oder zurückbezahlt. Bei Lohnersatzleistungen – wie Kurzarbeitsgeld, Elterngeld, Arbeitslosengeld – gibt es diesen Ausgleichs-Mechanismus nicht

Die finanzielle Ungleichheit – zementiert durch das Steuersystem

Und damit sind wir beim Kern des Problems: Unser Steuersystem benachteiligt Lebensrealitäten, in denen sich vor allem Frauen befinden. Und bevorteilt Lebensumstände, die vor allem für Männer gelten. Das Ergebnis ist: Das Steuersystem wirkt sexistisch. Und verstärkt die finanzielle Ungleichheit zwischen Frauen und Männern noch in die Zukunft hinein.

„Der Kern des Problems: Unser Steuersystem benachteiligt Lebensrealitäten, in denen sich vor allem Frauen befinden. Und bevorteilt Lebensumstände, die vor allem für Männer gelten. Das Ergebnis ist: Unser Steuersystem wirkt sexistisch.“

Lisa Paus

Die finanzielle Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ist nach wie vor gewaltig. Das betrifft nicht nur den Gender Pay Gap, der immer noch bei unfassbaren 20 Prozent liegt – womit Deutschland übrigens Europas Schlusslicht bildet. Sie zeigt sich auch bei der Aufteilung von Vermögen zwischen Frauen und Männern.

Seit 2004 hat sich die Vermögensschere zwischen den Geschlechtern nicht verändert: Immer noch besitzen Männer im Durchschnitt ein Drittel mehr. Besonders groß sind die Unterschiede im Betriebsvermögen: 17 Prozent der Männer besitzen solches, aber nur drei Prozent der Frauen. Auch Immobilien und Finanzanlagen liegen deutlich häufiger in der Hand von Männern. Vorteilhaft für sie, dass Vermögen in Deutschland fast gar nicht besteuert wird.

Männer profitieren häufiger von Steuervorteilen

Und auch, dass es mit nur 25 Prozent einen extra niedrigen Steuersatz für ihre Gewinne aus den Finanzanlagen gibt. Zum Vergleich: Auf das Einkommen aus Arbeit, womit Frauen hauptsächlich ihren Lebensunterhalt bestreiten, können bis zu 42 Prozent Steuer anfallen. Weitere Steuervorteile, von den Männer deutlich häufiger profitieren als Frauen, sind steuerfreie Zuschläge für Schicht- und Nachtarbeit oder die doppelte Haushaltsführung.

Das Steuerrecht bestimmt in Deutschland grundlegend, was subventioniert werden soll und was nicht. Natürlich gelten die Regelungen erst einmal für Frauen und Männer gleichermaßen. Aber sie bevorteilen ganz offensichtlich Bereiche, die derzeit mehrheitlich in der Lebenswelt von Männern angesiedelt sind – ein Beispiel sind die Werbungskosten: Männer machen hiervon 26 Milliarden Euro bei ihrer Steuerlast geltend, Frauen nur die Hälfte.

Und es gibt noch viele weitere Beispiele: So wird der Weg zur Arbeitsstelle finanziell gefördert, der Weg zur Kita dagegen nicht. Zinsen auf den Kredit für die vermietete Eigentumswohnung mindern die Steuer. Die Zinsen auf den Kredit, den die alleinerziehende Mutter für die Waschmaschine aufnehmen musste, aber nicht. Das bedeutet zusammengefasst: Das deutsche Steuersystem zementiert die Ungleichverteilung zwischen den Geschlechtern getreu dem Motto „Wer hat, dem wird gegeben”.

Steuergesetze von Männern für Männer

Wie konnte sich das so entwickeln? Nun, ein Teil der Erklärung ist: Gesetze werden nach wie vor überwiegend von Männern gemacht. Und Männer machen Gesetze für Männer. Nicht zwangsläufig absichtlich. Viele Politiker machen Gesetze mit der Brille der männlichen Lebensrealität. Fakt ist aber, dass sich diese von den Lebenswirklichkeiten von Frauen unterscheidet: Diese haben andere Erwerbsbiografien, mit mehr Unterbrechungen und mehr Teilzeitarbeit beispielsweise wegen Elternzeit. Das Steuerrecht berücksichtigt das nur unzureichend. Der Grund für das sexistische Steuersystem ist also, dass viele Politiker die Lebensrealitäten von Frauen entweder nicht kennen oder nicht mitdenken.

Und das, obwohl es die gesetzliche Pflicht gibt, bei jedem Gesetz zu überprüfen, welche konkreten Auswirkungen es auf die Lebensrealitäten von Frauen hat. Leider wird diese Verpflichtung in den seltensten Fällen erfüllt. Oft fehlen auch die empirischen Daten, um aussagekräftige Schlussfolgerungen zu ziehen. Denn Steuerstatistiken werden oft gar nicht erst differenziert nach Frau und Mann erhoben.

Traditionelle Rollen werden staatlich gefördert

Die bekannteste Ursache der Nachteile für Frauen im Steuersystem ist das Ehegattensplitting. Das Ehegattensplitting bevorteilt vor allem Haushalte, bei denen die Differenz der beiden Einkommen eines Paares besonders groß ist. Wenn die beiden Einkommen genau gleich sind, gibt es keinen Zuschuss.

„Das Ehegattensplitting subventioniert, dass eine Person im Haushalt dem Arbeitsmarkt komplett fernbleibt: eine merkwürdige Zielsetzung für eine staatliche Subvention.“

Lisa Paus

Am größten ist die Subvention dagegen, wenn eine Person viel verdient und die andere ganz zu Hause bleibt: die klassische Alleinverdiener-Hausfrauen-Ehe also. Das Ehegattensplitting subventioniert damit, dass eine Person im Haushalt dem Arbeitsmarkt komplett fernbleibt: eine merkwürdige Zielsetzung für eine staatliche Subvention.

Das Ehegattensplitting funktioniert übrigens auch nicht als Familienförderung, wie oftmals aus dem konservativen Lager behauptet wird: 41 Prozent der geförderten Ehepaare haben gar keine oder bereits erwachsene Kinder, während Alleinerziehende und nicht verheiratete Eltern außen vor bleiben.

Und auch unter einem anderen Aspekt wird die Ungleichheit zementiert: Die Subvention Ehegattensplitting fließt zu 90 Prozent in die alten Bundesländer. Das hängt damit zusammen, dass generell die Einkommen in Ostdeutschland niedriger und Spitzenverdiener*innen seltener sind. Während der Gender Pay Gap in den östlichen Bundesländern 2019 bei 9 Prozent lag, betrug er im westlichen Teil der Republik 21 Prozent.

Krasses Ost-West-Gefälle

Außerdem gibt es im Osten so gut wie nie Einkünfte aus Vermögen, wie Mieteinnahmen aus vererbten Immobilien oder Einkünfte aus Forstwirtschaft oder aus Kapitalvermögen. Der Splittingvorteil gilt nämlich nicht nur für Erwerbsarbeit, sondern für alle Arten von Einkünften. Und da die Erbengeneration fast ausschließlich aus dem Westen stammt werden diese ungleichen Startbedingungen über das Splitting verstärkt.

Es gibt also viele Gründe, die gegen das Ehegattensplitting sprechen: Es ist kein zielgerichtetes Instrument zur Familienförderung, subventioniert überkommene Rollenbilder zum Nachteil vieler Frauen und fördert den Westen der Republik. Warum wurde es dann noch nicht abgeschafft?

Die Sache mit den Steuerklassen

Weil das Ehegattensplitting kurzfristig betrachtet sehr vorteilhaft für das Paar zu sein scheint. Das hängt mit der Wahl der Lohnsteuerklassen zusammen. Ehegattensplitting und Lohnsteuerklassen werden häufig in einen Topf geworfen. An der Stelle möchte ich aber noch einmal darauf aufmerksam machen, dass es in der Debatte wichtig ist, zwischen ihnen zu unterscheiden. Denn die Lohnsteuerklassen entscheiden im Wesentlichen darüber, wann der Steuervorteil ausgezahlt wird: sofort oder erst nach der Einkommenssteuererklärung.

Unabhängig vom Ehegattensplitting haben verheiratete Paare durch die Wahl der Steuerklassen unterschiedliche Möglichkeiten, wer von beiden wie viel Lohnsteuer im Monat abführt. Am Ende des Jahres wird dann geschaut, ob insgesamt zu wenig oder zu viel ans Finanzamt gezahlt wurde. Eine beliebte Variante ist: Die Frau nimmt Steuerklasse V mit besonders hohen Abzügen und der Mann nimmt Steuerklasse III mit besonders wenigen Abzügen. Weil die Frau aber weniger verdient als ihr Mann, sind die Abzüge insgesamt geringer.

Für sie persönlich gesehen ist Steuerklasse V allerdings ungünstig. Vom sowieso schon geringen Lohn bleibt noch weniger übrig. Anreize, mehr zu arbeiten, verpuffen. Warum auch, wenn eh so viel abgezogen wird? Doch das hat fatale Auswirkungen auf die eigene Rente. Und wie das Eingangsbeispiel gezeigt hat, auch auf Lohnersatzleistungen wie Kurzarbeiter*innengeld, Arbeitslosengeld oder Elterngeld.

Die Frauen-Verarmungssteuerklasse V

Warum stecken so viele verheiratete Frauen in der für sie unvorteilhaften Steuerklasse V fest? Schließlich gäbe es ja Alternativen zur Wahl von Steuerklasse V und III in einer Ehe. Beide Partner*innen können beispielsweise ganz gleichberechtigt Steuerklasse IV wählen. Wenn sie sich zusätzlich für das sogenannte Faktorverfahren entscheiden würden, hätten sie ebenfalls schon im laufenden Jahr mehr Geld in der Tasche und nicht erst bei Abgabe der Steuererklärung.

Steuerklasse V würde damit überflüssig. Und die Lohnersatzleistungen würden auch gerechter berechnet werden. Denn um es noch einmal ganz klar zu sagen: Mit IV zu IV verzichten Paare nicht auf Geld. Der Unterschied zu V zu III besteht nur im Zeitpunkt der Auszahlung. Unterjährig hat dabei der*die mehr verdienende Partner*in mehr Geld zur Verfügung. Eventuell muss er*sie aber am Ende des Jahres eine Steuerrückzahlung leisten.

Doch weniger als ein Prozent aller verheirateten Paare entscheiden sich aktuell für die gleichberechtigte, doppelte Steuerklasse 4 mit Faktor. Hier fehlt es bis heute an einer breiten Aufklärung. Viel zu häufig ist das Faktorverfahren unbekannt.

Was die Wahl der Steuerklassen angeht, gibt es noch einen weiteren interessanten Aspekt. Heterosexuelle Paare, bei denen Frauen das höhere Einkommen erzielen und damit die Männer von der ungünstigen Steuerklasse V betroffen wären, entscheiden sich häufiger für die Kombination IV/IV. Dass es schlecht ist fürs Selbstbewusstsein, wenn vom eigenen, schon geringeren Lohn durch höhere Steuern noch weniger übrig bleibt, ist also durchaus ein präsenter Gedanke zu sein – wenn es die Männer betrifft.

„In einer Gemeinschaft wie der Familie oder Ehe die individuelle finanzielle Situation vorne anzustellen, gilt leider immer noch als gesellschaftliches Tabu. Insbesondere dann, wenn die Frau diesen Anspruch stellt.“

Lisa Paus

Familienvorteil gegen individuellen Vorteil?

Die Nachteile der geringeren Lohnersatzleistungen sind vielen Ehepaaren nicht bekannt. Und wenn sie bekannt sind, sind sie trotzdem nicht ausschlaggebend bei der konkreten Finanzplanung. In einer Gemeinschaft, wie der Familie oder Ehe, die individuelle finanzielle Situation vorne anzustellen, gilt leider immer noch als gesellschaftliches Tabu. Insbesondere dann, wenn die Frau diesen Anspruch stellt.

Hier wird in der Debatte aus meiner Sicht der Familienvorteil gegen den individuellen – und aus feministischer Sicht wichtigen – Vorteil ausgespielt. Individuelle Finanzplanung bekommt den schlechten Geschmack des Egoismus. Das ist für mich perfide. Denn es sollte beim Steuersystem nicht darum gehen, das eine dem anderen vorzuziehen. Beides sollte Hand in Hand gehen und miteinander vereinbar sein.

Ein weiterer Grund, warum das Ehegattensplitting weiterhin Bestand hat, liegt vermutlich auch in dem Fakt begründet, dass die Dauer-Regierungsparteien CDU/CSU unter ihren Wähler*innen überproportional viele mit dem Lebensmodell „Alleinverdiener-Hausfrau“ hat. Die Alleinerziehenden oder unverheiratet zusammenlebenden Eltern haben tendenziell andere Parteipräferenzen. Der Schritt, das Ehegattensplitting abzuschaffen, wird gerade von traditionellen, älteren Ehepaaren, deren Kinder bereits aus dem Haus und mit ihrer Ausbildung fertig sind, als Angriff auf ihr Lebensmodell verstanden. Und deswegen ist die Neigung der Union gering, dieses für ihre Wählerklientel so heiße Eisen anzupacken. Wir Grünen sprechen uns deshalb mittlerweile dafür aus, das Ehegattensplitting nur für Neuehen abzuschaffen.

Wir müssen jedenfalls endlich aufhören, uns in Sachen Geschlechtergerechtigkeit bei der Symptombekämpfung zu verzetteln. Wir müssen an die Ursachen heran. Und eine der zentralen Ursachen der Geschlechterungleichheit ist unser Steuersystem in seiner gesamten Ausgestaltung. Mit den dicken Brettern wie dem Ehegattensplitting und den Lohnsteuerklassen. Aber auch mit seinen kleinen, weniger sichtbaren Verästelungen wie Steuervergünstigungen, von denen vor allem Männer profitieren.

Blaupause “tampon tax”

Wir brauchen keine Konstruktion, die traditionelle Rollenbilder fördert und Einkommensungleichheiten noch verstärkt – und dabei nicht einmal zuverlässig Kinder absichert. Wir brauchen ein feministisches Steuersystem, das darauf zielt, Gleichheit zwischen den Geschlechtern zu fördern. Die Blaupause dafür war die Tamponsteuer. Mit einer großen Kampagne wurde die „Luxussteuer“ auf weibliche Hygieneprodukte zu Fall gebracht. An diese gebündelte Frauensolidarität müssen wir anknüpfen.

Denn die Zeit ist reif dafür. Das alte, die Ehe zwischen Mann und Frau subventionierende Steuersystem, hat ausgedient. Es ist Zeit, das Ehegattensplitting abzuschaffen. Es ist Zeit für ein feministisches, gendergerechtes Steuersystem.

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